Die Leichtigkeit des Seins

Vorlesen

Diese wenigen Momente, wenn ich aus einem Traum erwache, aber mein Dasein noch nicht zur Gänze wahrnehme, verschafft mir jedes Mal wieder den Hauch einer Idee von Ewigkeit.

Ich befinde mich in einem Weizenfeld, rage noch gerade so über die letzten Ähren hinaus, die sich tanzend in der sommerlich lauen Brise von hier nach dort bewegen. Ich bin allein. Mein Blick auf die idyllische Weite gibt mir das wohlige Gefühl, genau richtig zu sein. Es ist das Gefühl von Unendlichkeit, einen tiefen Atemzug dieser frisch duftenden Sommerluft zu neh- men, wenn sie meine Lungen füllt. Mit jedem Einatmen vereine ich mich ein Stück weit mehr mit meinem formlosen Dasein und verweile in der stillen Leichtigkeit des Seins. Dann wache ich bedächtig und sachte auf und wiege mich weiter in diesem Zustand der Glückseligkeit. Gedanken beginnen einzufallen und entreißen mich meinem träumerischen Paradies. Längst lebe ich wieder in einer Welt der Bedeutungen, losgelöst von diesem Zauber der Erfülltheit.

Ich frage mich, was hier geschehen war. Denn erreichte ich bisher diesen wundervoll heil- samen Seinszustand nur im Traume. Es war real, ich erlebte es, war jedoch nicht anwesend. Mein Verstand ruhte, mein Organismus jedoch nicht. Ich erlebte, ohne zu denken. Ich lebte an einem Ort ohne Zeit und nicht von dieser Welt. In fernöstlichen Kulturen erzählt man sich von einer Reise der Seele. Die Seele verlässt im Traume die Welt der Formen und kehrt für wenige Momente zurück in ihren ursprünglichen Zustand des formlosen Bewusstseins. Ich frage mich, ist dies nur im Traume möglich? Gibt es einen Ort hinter dem Lärm der Worte und der Hektik der Emotionen auch im wachen Zustande erfahrbar? Der Mensch ohne seine Sprache, er könnte nicht denken. Der Mensch ohne seinen Verstand, es würde ihm lediglich seine Sinneswahrneh- mung bleiben, eine Wahrnehmung ohne Gedanken. Ein Mensch, ruhend in seiner Mitte, ver- weilend in der Stille. Ein Mensch, wenn er im Frieden ist.

Meine Geschichte führt mich wieder ein Stück weit dem Zauber meines Traumes näher. Vielleicht verbirgt sich hinter den richtigen Worten ein Funke dieser Kraft der Leichtigkeit. Wer kennt nicht dieses Gefühl eines perfekten Rhythmus in der Melodie geschriebener Spra- che. Nichts bringt einen so zum Schweben, wie die fließende Abfolge sich aneinanderreihender Buchstaben. Ich schließe meine Augen, versinke in den Tiefen meiner Wahrnehmung. Dann spüre ich einen milden Luftstoß auf meinem Körper, höre das leise Rascheln der tanzenden Weizenähren. Ich spüre die wärmende Verbundenheit, ihren süßen Nachgeschmack in der voll- mundigen Leichtigkeit des Seins.


Mehr Texte von Oliver Leitsberger finden Sie hier: https://www.oliverleitsberger.net

Gefällt mir
5
 

Weitere Freie Texte

Verschiedene Aspekte der Liebe DALL-E
Freie Texte

Liebe

Vanessa

Liebe ist bedingungslos, man kann sie nicht kaufen nur fühlen. Liebe muss man sich nicht verdienen. Man kann sich Herz über Kopf verlieben und sein Glück kaum fassen. Man kann jemanden verlieren und dessen Liebe vermissen. Man kann offen für die guten Dinge im Leben sein oder Angst vor seinen eigenen Gedanken und Träumen haben. Man kann die Welt in all ihren Farben sehen. Man kann einen grauen Schleier drüberlegen. Liebe macht das Leben lebenswert. Das Einzige, was wichtig ist und worum es sich ...
Freie Texte

Reise ins Ich

Arne

Wüstensand salzig wie das Meer, brennt auf der Haut und ich will noch mehr. Wonne, ich brenne und die Hand unter mir weint. Wünsche ich mir nix mehr als meines Gleichen Geleit. Der blaue Sternenhimmel versteckt meinen Willen in der Schwärze der Nacht. Die vergangene Sünde trägt schwer auf meinem Fuß, ich gehe weiter, dass es nur so weh tuen tut. Trägt der Horizont meine Hoffnung fort, bringt die nächste Sonne mich an einen anderen Ort. Das Wasser in mir wird knapp, doch der Glaube gibt mir ...

Aktuelles