Die Suche nach den Gefühlen

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Die Dunkelheit ist zäh und dickflüssig. Sie drückt mich auf den harten, steinigen Boden. Ich liege auf dem Bauch, meine Wange von den Steinen wund gekratzt, mein Blick zur Seite. Schwarz. Mir scheint kalt zu sein, jedoch kann ich es nicht fühlen. Taubheit. Sie durchströmt meinen Körper und trotzdem ist jede Faser von Schmerz erfüllt. Mein Kopf dröhnt, als ich ihn leicht anhebe und nach oben schaue. Weit in der Ferne kann ich Licht erkennen. Ich schliesse die Augen und lasse meinen Kopf seufzend zurück auf den Boden sinken. Die Distanz bis zum Lichtschimmer erscheint unüberwindbar. Mir wird übel. Ich schlafe ein.

Das Ächzen, welches du von dir gibst, als du dich neben mich auf den Boden legst, weckt mich auf. Mit grosser Anstrengung öffne ich die Augen und sehe dich an. Du hast deinen Kopf zur Seite gedreht, deine Wange auf dem Boden liegend. Du lächelst nicht. Deine grünen Augen schauen mich bloss aufmerksam an. "Ich fühle mich unsichtbar", sage ich. Du schweigst. Ich schlafe ein.

Dein Räuspern weckt mich auf. Du liegst unverändert neben mir. Dein Blick ruht nach wie vor auf meinem Gesicht. Ich spüre den Drang, mich aufzusetzen. Meine Kehle ist trocken. Obwohl ich weiss, dass oberhalb meines Kopfes ein Glas gefüllt mit Wasser steht, kann ich meinem Arm nicht befehlen, danach zu greifen. "Ich glaube, ich habe Durst", stelle ich fest. "Ich kann dich sehen", erwiderst du. Ich schlafe ein.

Du stupst mich an. Ich lasse mich durch das Meer von Trägheit treiben und weigere mich, aufzutauchen, um Luft zu holen. Deine Hand legt sich vorsichtig auf meinen Arm. Die Berührung reisst mich an die Oberfläche und ich schnappe nach Luft. Du hast dich aufgesetzt und streckst mir das Glas mit Wasser entgegen. "Trink!" Ich wende all meine Willenskraft auf und verdrehe die Augen. "Sag mir nicht, was ich zu tun habe", entgegne ich. Bevor ich mich auf die andere Seite drehe, sehe ich, wie sich dein kantiges Gesicht zu einem amüsierten Grinsen verzieht. Mir wird warm, ohne es zu fühlen. Ich schlafe ein.

Deine Stimme reisst mich aus meinem Dämmerzustand. "Wie lange dauert das normalerweise?" Gereiztheit und Wut, die einzigen Empfindungen, die mich gelegentlich besuchen, steigen in mir auf. Davon angetrieben schaffe ich es, mich aufzusetzen. "Was meinst du mit das?", frage ich scharf. Anstatt dem zu erwartenden Erschrecken, breitet sich stattdessen ein entspanntes Lächeln auf deinem Gesicht aus. "Dieser Zustand", antwortest du gelassen. "Das ist kein Zustand, das bin ich." Du neigst deinen Kopf zur Seite und versuchst zu verstehen. Dann schüttelst du den Kopf. "Das ist nur ein kleiner Teil vom grossen Ganzen. Oder eben ein Zustand." Die Bestimmtheit in deiner Stimme lässt mich müde werden. Ohne etwas zu erwidern, lege ich mich zurück auf den Boden. Ich schlafe ein.


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