Fachkräftemangel

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Zu dieser Stunde wird niemand von uns durch das Berufsleben gehen können, ohne mit dem Begriff "Fachkräftemangel" in Berührung zu kommen. Er ist allgegenwärtig: Die Alten werden nicht gepflegt, die Jungen nicht erzogen. Dem Klimawandel kann nicht die Stirn geboten und die Digitalisierung nicht vorangetrieben werden. All das, weil es niemanden gibt, der diese Berufe ausüben möchte. Wieso nicht? Sie sind doch gefragter denn je! Pflegepersonal? Brauchen wir! Handwerker? Her damit! Gastronomen? Auch in Ordnung.

Dieser Aufruf kommt leider eine Generation zu spät. Die Kinder derer, die sich nun besinnen und um Hilfe rufen, studieren nun oder stehen nach ihrem Studium mitten im Leben. Tatsächlich gab es noch nie so viele Studierende in Deutschland, wie jetzt. Das ist doch gut, oder nicht? Der Akademisierungswahn der letzten Generation trägt nun endlich Früchte. Nun können die Sprösslinge endlich die ihnen in die Wiege gelegte Prophezeiung erfüllen und sich einen Platz an der Spitze der Pyramide sichern – jetzt, da sie schließlich Akademiker sind. Väter und Mütter platzen vor Stolz, denn sie wissen: Der Abschluss ist das Maß aller Dinge. Wer möchte schon mit seinem Pfleger-Sohn oder seiner Schreiner-Tochter prahlen?

Also, ein Bachelor muss her. Ein Master? Noch besser! Worin? Egal. Hauptsache keine Geisteswissenschaft oder Musik – was sollen die Eltern mit einer gescheiterten Künstlerin oder einem Schwätzer als Kind? Anwältin, das wäre mal was; oder Ingenieur; oder Chefarzt! Wisst ihr, was sie verdienen? Damit hat das Kind sicherlich ausgesorgt und studieren kann heutzutage bekanntlich jeder, die Möglichkeiten sind schier endlos und müssen ergriffen werden. Warum nicht vom eigenen Kind? In einer Welt, in der Träume wahr zu werden scheinen, in der die Menschen alles werden können, was sie wollen, ist es da so verwerflich, das Beste für sein Kind zu wollen?

Nun ist mir bewusst, dass es eine sehr überspitzte Darstellung der Realität zu sein scheint und doch weiß ich, dass viele junge Menschen meiner Generation diese Worte mit den Stimmen ihrer Eltern lesen. Ich weiß, dass es für viele eben keine überspitzte Darstellung, sondern die Realität ist. Ganz unverblümt wird am Esstisch die Zukunft gemalt, wie sie ohne einen Abschluss aussehen wird: Armut, Schulden, Unglück, Perspektivlosigkeit. Die vier Reiter der nicht akademischen Laufbahn. Die rettende Lösung: Das Studium. Besonders Eltern mit geringem Einkommen und ganz besonders Eingewanderte sind sich dieser Tatsache sicher. In meinem Fall traf beides zu.

Was bedeutet das nun für uns als Kinder? In Ermangelung eines Plans: Absolute Fremdbestimmung. Wieso denn auch nicht? Wer weiß denn schließlich als Jugendlicher oder junger Erwachsener, was er oder sie wirklich will? Wir haben nie wollen gelernt. Wer von uns weiß schon, was wirklich gut für uns ist? Die Eltern. Könige, Richter und Vollstrecker. Die Legislative, Judikative und Exekutive unseres jungen Lebens. Die heilige, allwissende und unbestreitbar gutmütige Instanz, der es blind zu vertrauen und zu gehorchen gilt.

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