Wie der Eiffelturm zum Berlin Gefühl wurde

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Dass es zurzeit in Berlin nicht so einfach ist, eine passende Wohnung zu finden, das ist bekannt. Durch abenteuerliches Suchen und schlie.lich auch nach dem Finden muss man sich ziemlich arbeitsreich für die neue Behausung fit machen.

Sophie hatte es geschafft. Neue Adresse, Mietvertrag, der Schlüssel, die Klingel mit den Namen waren aktenkundig geworden. Nun ging es daran auszusortieren, was von den Sachen, die sich in 30 Jahren auf 150m. angesammelt hatten, in die neue, kleinere Wohnung mitgenommen werden soll. Unter vielen, lange unbeachteten Dingen kamen auch zwei Päckchen alter Briefe zum Vorschein, die sofort in die Kategorie wichtig kamen. Das eine bestand aus Packpapierkuverts mit polnischen Marken und Stempeln aus den 70er und 80er Jahren an die verschiedensten Adressen von Sophie. Alle geschrieben in der gut lesbaren Handschrift des Dichters. Das andere Päckchen versammelte die Briefe, die Sophie während ihres Krakau Aufenthaltes bekommen hatte. Die meisten Briefe stammten aus der DDR mit den damals üblichen Marken vom Leninplatz drauf. Einmal in die Hand genommen, tauchten sehr lebendig die Figuren eines fast vergangenen Weltzusammenhangs auf. Sophie erinnert sich, wie sie als ganz junges M.dchen im Zug sitzt, eingestiegen in Leipzig. Auf den Waggons stand Paris - Krakau. Er fuhr endlos über Nacht. Jedes Mal das übermüdete Ankommen und die Vorfreude, wieder den Rynek zu besuchen, zuerst wie eine Touristin. Aber mit jedem Tag mehr wieder eine Bewohnerin dieses wunderbaren Wohnzimmers zu werden. Immer waren die Tauben da und die Blumenstände und gut gekleideten Leute, die in einem lebendigen Theater ihre gro.en und kleinen Auftritte zelebrierten. Im Journalistenklub „Unter der Birne“ wurde dreig.ngig zu Mittag gegessen und sp.ter im Vorderraum alle poetischen Feinheiten und politischen Aktualit.ten im Wodka gekl.rt. Oft kam Sophie am frühen Nachmittag am Caf. Rio an, um ihre Einladungszettel aus einer gro.en angeschlagenen Porzellantasse entgegen zu nehmen und sich für das weitere Tagesprogramm zu entscheiden. Es waren die Zeiten vor Internet und Handys. Bei schlechtem Wetter weiter zum EMPIK, dem internationalen Presseklub, westliche Zeitungen lesen. Den SPIEGEL, die ZEIT. Das hielt aber vom Polnisch lernen ab. Dafür gab es die Dichter, die in den Planten - dem Parkring um die Altstadt mit vielen Bänken - mit ihr herumstreiften und ihr ihre Gedichte ins Ohr sagten. Eine Geschichte für jede neue Vokabel. Dazwischen schnappte Sophie W.rter von Plakaten auf: Tadeusz Kantor, Andrzej Wajda, Noc listopadowa, Stary Teatr, Nastasja Filipowna. Schlie.lich auch Wolf Vostells Mauerinstallation aus Kastenbroten. Und zwischen diesen K.stlichkeiten immer wieder Treffen mit ihrem Dichter am Mickiewiczdenkmal. Immer war sie pünktlich, immer kam der Dichter mit einem Blumenstr.u.chen und hatte sich ein Ziel ausgedacht. Eine Lesung, Treffen mit anderen Kollegen der Poesie und des Zeitungshandwerks. Für Sophie ein zauberhafter Kosmos der Nachabiturzeit. Ihr Abi taugte nur zum Theologiestudium in der kleinen DDR und die interessantesten Helden aus ihrem Umfeld waren in den Westen verschwunden. So verdiente sie etwas Geld mit Kinderhüten, einem Zwillingsp.rchen von 18 Monaten oder sp.ter mit Hund ausführen. Mit 1000 Zloty und etwas Ostmark und vielleicht 20 oder 50 Westmark, gut gewechselt, konnte sie leben und kam sogar in ihre alte Domstadt mit neuen Kleidern als bunter Vogel wieder. Den Krakauern konnte sie nur erz.hlen, dass es in ihrer Heimatstadt eine Art Kathedrale gibt, mit einer Statue der Tochter des polnischen K.nigs Boleslaw Chrobry, Boleslaw des Tapferen.



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