Giwar Hajabi: Xatar - Alles oder nix Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

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Ein Goldraub zur Finanzierung eines Musik-Albums ist derart töricht, dass sich kein Autor an einen solchen Plot wagen würde. Dies ist aber die wahre Geschichte des Rappers Xatar und liest sich tatsächlich spannender als so manch ein Roman.

Lebensbeichte eines Goldräubers: Alles oder nix von Xatar. Foto: Riva Verlag

Wir schreiben das Jahr 2009. Bei Ludwigsburg wird ein Goldtransporter überfallen. Die Beute: Schmuck und Gold im Wert von 1,7 Millionen Euro.

Der filmreife Coup, bei dem sich Rapper Xatar mit seinen Komplizen als Polizisten verkleiden, endet in einer Odyssee bis in einen irakischen Folterknast und schließlich in einer fünfjährigen Haftstrafe in Deutschland.

So etwas zementiert nicht nur das Bild in der Öffentlichkeit, sondern begeistert Fans unwirsch vorgetragener Stakkato-Reime. Xatars drittes Album "Baba aller Babas" erreichte nach seiner Haftentlassung prompt Platz 1 der deutschen Album-Charts.

"Alles oder Nix - Bei uns sagt man, die Welt gehört dir" wurde jedoch nicht nur passend zum aktuellen Hype um den gebürtigen Kurden veröffentlicht, sondern bietet tatsächlich Neues. Xatar hatte sich nämlich auf anwaltliche Anweisung bislang nicht zum Fall geäußert.

Die Straße wird für Xatar zur Schule

So beschreibt Giwar Hajabi, wie Xatar bürgerlich heißt, seine Jugend als Asylantenkind in Bonn, seine Karriere als Drogendealer und Kleinkrimineller und seinen ersten Kontakt zum Rap. Mit zunehmender Erfahrung im Drogengeschäft weitet Hajabi die Geschäfte mit Hilfe seiner Kernkompetenz als "stabiler" Zwei-Meter-Mann aus. Er verdingt sich als Schutzgelderpresser, Türsteher und Schuldeneintreiber.

Aus dem Gelegenheitsdealer wird so langsam ein "Baba", also eine Art lokaler Mafia-Boss, der mittlerweile Kokain direkt aus Lateinamerika bezieht. Doch die exzessive Gewalt, die er insbesondere bei Mafia-Größen in Holland als Augenzeuge erleben muss, entsetzt selbst den ruppig erscheinenden Hünen.

Raus aus dem Milieu mit Dr. Dre

Sein erster Kontakt mit Rap und Hip Hop durch die Entdeckung der Alben von Dr. Dre ist für ihn zudem eine Eröffnung: Mit Musik will er von der Straße weg. Erste Gehversuche werden in der Szene prompt belohnt; ein Skandal-Auftritt löst einen ersten Medienrummel aus.

Die weiteren Produktionen laufen skurril ab. Zum TV-Dreh schleppt Xatars Gang säckeweise Drogen an; man hantiert vor der Kamera mit scharfen Schnellfeuergewehren und gerät prompt wieder ins Visier der Polizei. Weit schlimmer: Die Aufnahmen werden beschlagnahmt und nicht gesendet. Trotzdem oder gerade deswegen steigt Xatars Ansehen bei den Fans.

Mit dem Gesetz nimmt es Hajabi auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht so genau. Statt das auserwählte Tonstudio für die Produktion einfach zu mieten, macht er zunächst dort einen Besichtigungstermin. Anschließend beauftragt er eine Jugendbande, das Equipment zu stehlen und in seinem eigenen Studio aufzubauen.

Doch je mehr sich Giwar Hajabi in die Musik stürzt, desto schneller erkennt er, dass Kreativität per se nicht so einfach in Bargeld umzumünzen ist. Die Begeisterung bringt Xatar trotzdem dazu, mehr Zeit mit Texten und Kompositionen zu verbringen. Mehr und mehr entfernt er sich von seinem kriminellen Umfeld.

Die Zeit drängt

Bald tauchen aber Geldprobleme auf, die Giwar Hajabi eigentlich durch seinen Verdienst als Drogendealer überwunden zu haben glaubte. Mittlerweile studiert er nämlich in London und hat keine regelmäßigen Einkünfte mehr durch Rauschgift. Nicht nur der Traum eines eigenen Albums scheint zu zerplatzen, sondern auch das Bestreiten des täglichen Lebensunterhalts wird in der teuren Metropole zur Herausforderung. Trotz seiner Bekanntheit in Deutschland verdient er keinen Cent, da er einfach noch kein verkäufliches Album auf den Markt gebracht hat.

Schließlich geht Hajabi den Weg des aus seiner Sicht geringsten Widerstandes, kontaktiert alte Bekanntschaften und sucht nach dem allerletzten Coup, der ihm die Produktion des Albums und den Ausstieg aus der Kriminalität ermöglichen soll.

Dies mündet nach einigen Irrwegen bis nach Südamerika in der Idee, einen privaten, ungesicherten Goldtransport in Nürnberg zu überfallen. Giwar Hajabi zögert - ein Verbrechen dieser Größenordnung hat selbst er noch nicht begangen. Aber die Zeit drängt, wird er doch im schnelllebigen Musikgeschäft bald in Vergessenheit geraten, wenn er nicht zeitnah ein Album veröffentlicht.

Mit einigen Komplizen zieht er den filmreifen Coup ab, der international Schlagzeilen macht. Die Gangster entkommen zunächst bis in den Irak, werden dort gefasst und gefoltert und schließlich an Deutschland ausgeliefert. Xatar sitzt wegen guter Führung fünf seiner acht Jahre ab.

415 - das erste deutsche Knast-Album

Noch in Haft produziert Xatar unter abenteuerlichen Bedingungen das erste Knast-Album, das er auf seine Häftlingsnummer 415 tauft. Mit Diktiergerät und Taschenlampe rappt er in seiner Zelle heimlich unter der Bettdecke Zeilen, in denen er bereits beginnt, sein Leben zu reflektieren.

Fazit: Seit 800.000 Deutsche die Autobiografie von Bushido gekauft haben, ist das vom Protagonisten selbst bemühte Bild des Gangster-Rappers festgelegt. Man kifft, prügelt, tickt Drogen und haut irgendwann ein Album raus, in dem Drogen und Gewalt verherrlicht werden. Und Mutti.

Die Lebensgeschichte von Xatar liest sich anders. Der Rapper ist ein guter Erzähler, der es versteht, die Zwangsläufigkeit bestimmter Handlungen in einem Umfeld von Straßenbanden und umfassender Jugendkriminalität darzustellen. Hajabi entschuldigt und rechtfertigt seine Taten nicht; er wirkt geläutert und verändert. Fast scheint es, als wolle er sich in die Gesellschaft zurückschreiben, indem er seine Leser auf die Straße führt.

Dort eröffnet sich eine Parallelwelt. Man erlebt die Zivilfahnder Don und Fuß im Einsatz, erfährt, mit welchen Tricks Drogen geschmuggelt oder wie Wachleute in Gefängnissen bestochen werden. "Alles oder nix" ist kein schnell dahin produziertes Merchandise-Büchlein, sondern ein überraschende, selbst reflektierende Chronik eines außergewöhnlichen Lebens. Die Botschaft von Xatar lautet "Verbrechen lohnt sich nicht". Das nimmt man ihm in all dieser Schlichtheit tatsächlich ab, denn Xatar schildert, dass die größte Beute kein Leben auf der Flucht wert ist.

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